Nach den dritten Knesset-Wahlen innerhalb eines Jahres scheint es, dass Israel nun endlich eine Regierung erhält.

Erneute Pattsituation

Die Wahlen vom 2. März führten zunächst zu einer erneuten Patt-Situation. Zwar hatte die konservative Likud-Partei des amtierenden Premierministers Benjamin Netanjahu Mandate hinzugewonnen, jedoch fehlten ihm und seinen Verbündeten, den religiös-nationalen Parteien, weiterhin die nötige Mehrheit von 61 der 120 Knesset-Sitze. Am 15. März beauftragte Staatspräsident Reuven Rivlin den ehemaligen Generalstabschef und Vorsitzenden des links-liberalen Blau-Weiß-Bündnisses, Benny Gantz, mit der Regierungsbildung. Bereits am selben Tag kamen Gantz und Netanjahu zu ersten Gesprächen zusammen. Zeitgleich zu den Koalitionsverhandlungen reichten Abgeordnete des Blau-Weiß-Bündnisses Gesetzesentwürfe ein, die eine weitere Amtszeit Netanjahus verhindern sollten.

Foto: GPO/Haim Zach, Benjamin Netanjahu, Reuven Rivlin und Benny Gantz, Archivbild 2019

Überraschende Wendung

Nach einem Streit um das Amt des Knesset-Sprechers, in den sich auch Israels Oberster Gerichtshof einschaltete, kam es am Donnerstag, 26. März, zu einer überraschenden Wendung. Oppositionsführer Gantz ließ sich zum Knesset-Sprecher wählen – von den Abgeordneten der Regierungsparteien. Gantz begründete sein Manöver damit, die laufenden Verhandlungen mit dem Likud nicht gefährden zu wollen. Wäre der links-liberale Kandidat von Jair Lapids „Yesh Atid“-Partei zum Knesset-Sprecher gewählt worden, hätten die Anti-Netanjahu-Gesetze kaum mehr verhindert werden können. Das hätte das Ende der Koalitionsgespräche bedeutet. Stattdessen nahm Gantz den Bruch seines Blau-Weiß-Bündnisses in Kauf.

Rotation

Die mögliche Vereinbarung zwischen Netanjahu und Gantz sähe eine Rotation vor. Demnach würde Netanjahu zunächst Premierminister bleiben und nach 18 Monaten sein Amt an Gantz abgeben. Viele seiner Kritiker bezweifeln jedoch, dass Netanjahu Wort halten wird. Ihrer Einschätzung nach habe Gantz „politischen Selbstmord“ begangen: Sollte es zu einem Bruch mit Netanjahu kommen – jetzt oder später – hätte Gantz seine zentrisch-säkulare Wählerschaft langfristig verloren.

Gantz‘ Kurswechsel

Noch bis zuletzt hatte Gantz sich geweigert, sich an einer Regierung Netanjahus zu beteiligen, da dieser  sich wegen Korruptionsvorwürfen in drei Fällen vor Gericht verantworten muss. Hinter Gantz‘ abruptem Kurswechsel vermuten israelische Medien zwei Gründe. Zum einen scheinen die Tage seines Blau-Weiß-Bündnisses gezählt. Sollte es erneut zu Parlamentswahlen kommen, würde aktuellen Prognosen zufolge das Bündnis Mandate verlieren.

Israel aus der Krise führen

Gantz selbst erklärte seine Entscheidung damit, dass Israel sich in einer Notsituation befinde, verursacht durch das Coronavirus, die zu erwartende Wirtschaftskrise und den andauernden politischen Stillstand. Es sei unverantwortlich, der israelischen Bevölkerung zum vierten Mal Wahlen aufzuzwingen. So entschied Gantz sich für ein Abkommen mit Netanjahu – denn nur mit ihm scheint eine stabile Regierungsbildung möglich.

Streitpunkte

Ein zentraler Streitpunkt der Koalitionsgespräche ist die Annektierung von Gebieten in Judäa und Samaria (Westjordanland) – ein Wahlkampfversprechen Netanjahus. Hier hat Gantz inzwischen Kompromissbereitschaft signalisiert. Auch der Einfluss auf die Justiz ist wichtig. Bei der Ernennung von Richtern, auf die das Justizministerium, das Gantz‘ zentrisch-säkulare Partei Chosen LeIsrael erhalten soll, großen Einfluss hat, besteht Netanjahu auf einem Veto-Recht.Dies lehnt Gantz ab.

Netanjahus Optionen

Aktuellen Medienberichten (Stand 7. April) zufolge scheint eine Einheitsregierung zustande zu kommen, der die national-religiösen Parteien um Netanjahu, Gantz‘ Chosen LeIsrael und drei Abgeordnete der links-liberalen Parteien Gescher und Arbeitspartei angehören würden. Jedoch könnte Netanjahu das Abkommen mit Gantz im letzten Moment platzen lassen. Denn mit den drei Abgeordneten von Gescher und Arbeitspartei und der Unterstützung von zwei Abgeordneten, die sich von Mosche Ja’alon’s Telem-Partei trennten, hätte er eine knappe Mehrheit von 63 Mandaten – ohne Gantz.

Dann wäre es Netanjahu gelungen, die erste Opposition, die ihm in seiner mehr als zehnjährigen Regierungszeit gefährlich werden konnte, auszuschalten – denn eine Versöhnung zwischen Gantz, Lapid und Ja’alon gilt als unwahrscheinlich. Wie es scheint hält Netanjahu sich bis zuletzt alle Optionen offen.

Gebetsanliegen: Bitte beten Sie mit uns, dass Israel nun eine stabile Regierung erhält, die die aktuellen Herausforderungen mit Weisheit und Demut angeht.

Quelle: ICEJ-Nachrichten Deutschland vom 7. Apr 2020

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